Pheaton - 2nd Era

Part 6

 Am nächsten Morgen erwacht der Silberdrache mit den ersten Sonnenstrahlen die wie goldenes Wasser über die Berge fluten. Er blinzelt mißmutig und erhebt langsam seinen massigen Körper. Dann streckt er sich und gähnt herzhaft. Wenige Meter neben sich entdeckt er eine noch mit dem Rest einer erdigen Kruste verschmutzte Holzkiste. Darauf ein kleiner Zettel.
 "Ich habe mich bereits auf den Weg gemacht.", steht dort, "Ich erwarte dich gegen Mittag in der Taverne ‚am Phea' unten im Dorf. Erscheine bitte nicht in deiner jetzigen Form. Die wenigsten Menschen haben die Schrecken des Krieges verdaut.
 P'Ton"
 "Wenn ich vor Mittag unten sein will, muß ich aber zumindest einen Teil der Strecke fliegen.", murmelt der Drache und macht sich schulterzuckend auf den Weg zum See für das Morgenbad und ein kleines Frühstück.
 Dieses besteht aus einem der großen Welse des Sees. Ein Mensch hätte mit etwas Zurückhaltung eine Woche davon gelebt, für das Reptil ist es ein ausreichender Happen. Prustend taucht er wieder auf, den Fisch in den vorderen Klauen und landet hart am Ufer.
 "WAS ERDREISTET SICH DER MENSCH EIGENTLICH, MIR VORSCHRIFTEN ZU MACHEN?" brüllt er heraus. Dann verschlingt er hastig sein zappelndes Frühstück und startet zurück zu seinem Schlafplatz und der Kiste.
 Vorsichtig öffnet er das stabile Paket und hält kurz darauf eine in ein seidenes Tuch gewickelte Stange in der Hand. Sie ist kaum so lang wie seine Pranken, dennoch hält er sie andächtig in beiden. Eigentlich hat P'Ton recht. Wenn er als Drache dort unten landet, wird es schwer für ihn in Ruhe den Weg nach Norden zu gehen. Die Nachrichten über sein auftauchen würde sich schneller verbreiten als der Gestank einer Krötenbestie. Bald darauf wüßte auch diese merkwürdige Feldherr, daß sein Drache nicht der einzige ist, der sich in diesen Kampf einmischt.
 "Also gut. Bis in den großen Wald, wenn die Zweibeiner noch etwas davon haben stehen lassen." Er sieht sich noch einmal um, auf das Plateau, auf dem der älteste Baum des Tales steht, den weitläufigen See und die prächtigen Wälder seines Reiches. Wieder würde er für lange Zeit fort sein. Mal sehen, was ihn dieses Mal erwartet, außer gegen einen übermächtigen Feind kämpfen zu müssen.

 Unten am Fuße des Berges steht ein kleines Dorf, auf der Ruine einer alten Festung erbaut, hat nur ein einzelner Turm den Krieg überlebt. Es heißt, daß ein Drache, gleißend hell wie die Sonne mit Feuer heiß wie die selbe die Mauern einfach geschmolzen hätte. Nur ein Person habe in eben jenem Turm das Inferno überlebt, eine Jungfrau, so schön und rein, daß selbst der Odem eines Drachen sie nicht zu töten vermochte.
 P'Ton schmunzelt nur über die Geschichte, die er sich als Fremder in der Taverne nun schon zum dritten Mal anhören mußte. Jedes Mal erzählte sie ein anderer, und wenn man ihnen Glauben schenkte, stammte das halbe Dorf von dem Manne ab, der schließlich den Drachen bezwang.
 In jeder Geschichte steckt ein Teil der Wahrheit, und er, P'Ton, kennt sie. Der Drache war Pheaton gewesen, den er in wenigen Stunden hier erwartete, und der hoffentlich nicht den Fehler machte, sich in seiner Drachengestalt hier zu zeigen. Die unvergleichbar schöne ‚Jungfrau' war seine Mutter gewesen. Das Feuer hatte den Turm nicht verschont, weil sie darin gefangen gehalten wurde, sondern weil er, ihr Sohn, mit ihr darin war. Tyra wäre auch in dem Drachenfeuer nichts geschehen, aber seine, P'Tons, Kräfte waren noch nicht erwacht, daher wäre es sein Ende gewesen. Der Kämpfer, der den Drachen bezwungen haben soll, kam erst später, nachdem von der Festung nichts mehr übrig gewesen und Pheaton mit Tyra und ihrem Sohn davon geflogen war.
 Selbstverständlich hütet sich P'Ton davor, die Geschichte zu korrigieren oder gar seinen vollen Namen zu verwenden. Er nennt sich nur Ton, weniger verfänglich, gerade hier, wo Pheaton's Name im Zusammenhang mit Flüchen verwendet wird.
 "Nun, also Ton, was denken, sie, werden sie die Geschichte unserer schönen Stadt für ihr.. wie hieß das noch gleich?"
 "... Buch."
 "Genau, für ihr Buch verwenden können?"
 "Es ist die Chronik der Drachen-Kriege. Jeder Angriff durch einen Drachen soll darin vermerkt sein. Natürlich werde ich so ausführlich darüber Berichten, wie es geht. Es wird vielleicht sogar eine ganze Seite zur Verfügung stehen."
 "Dann muß ich ihnen noch von meinem Großvater berichten. Er war es, der Seite an Seite mit Thorbrandt den Drachen Pheaton zur Aufgabe gezwungen hat..."
 Doch zu P'Ton's Glück öffnet sich endlich die Tür und eine, in eine lange schmucklose Kutte gekleidete, Gestalt tritt ein. Die Kapuze noch weit in das Gesicht gezogen, bleibt sie im Widerschein des grellen Tageslichts stehen. Dann hebt sie mit einem Ruck die Hände und schlägt die Kapuze zurück. Darunter kommt ein hartes Gesicht zum Vorschein, eingerahmt von langen, silberweißen Haaren, die im Nacken zusammengehalten werden. Niemand der Pheaton nicht gut genug kennt, würde ihn in dieser menschlichen Gestalt erkennen. P'Ton hingegen kannte ihn gut und war auch mit seinen Verwandlungs-Künsten vertraut.
 "Vater!", ruft er daher und winkt ihn zu sich heran. Dann wendet er sich den Bauern zu, die wie gebannt auf den Neuankömmling starren. "Darf ich mich jetzt entschuldigen? Seid versichert, daß eure Geschichte bald selbst am Hofe des Kaisers bekannt sein wird." Schließlich begibt er sich zu dem verwandelten Drachen.
 "Vater?", raunt dieser kaum hörbar für die übrigen Gäste, die ihn immer noch intensiv beobachten.
 "Nicht hier. Ich habe ein Zimmer gemietet. Oben."
 Pheaton folgt also seinem ‚Sohn' über die Treppe in den ersten Stock und dort in eines der teureren Zimmer. Das Bett besteht nicht nur aus einem Holzgestell mit Strohlager, sondern besitzt tatsächlich etwas ähnliches wie ein Federbett.
 "Also?", fragt Pheaton erneut.
 "Ich mußte den Leuten hier doch sagen, ich würde auf jemanden warten. Also habe ich dich als meinen Vater angekündigt."
 Der Drache beginnt beinahe zu lachen.
 "Was ist daran jetzt so komisch?"
 "Nichts weiter. Aber gut, ich spiele das Spiel mit. Jedoch nur solange bis wir aus dem Dorf hinaus sind. Welchen Namen hast du mir angedichtet?"
 "Ea-Ton."
 "Nicht sehr einfallsreich."
 "Keiner von denen hier würde auf den Gedanken kommen, mit den Namen herumzuspielen. Sie sind unterschiedlich genug."
 "Wann brechen wir auf?"
 "Sobald meine ‚Schwester' hier angekommen ist."
 "Habe ich noch weitere Kinder, von denen ich nichts weiß?"
 "Keine Sorge, das sind alle."
 Die beiden lassen sich eine Flasche Wein und einen guten Braten auf das Zimmer kommen und beratschlagen den Rest des Tages darüber, welche Route und besonders, welches Verkehrsmittel sie auf dem Weg in die Hauptstadt zu benutzen gedenken.
 "Wenn wir fliegen, kann ich über diese Strecke nur eine Person tragen. Sonst sind die Pausen zu lang und wir holen keinen Zeitgewinn heraus."
 "Bleibt also nur eine Postkutsche."
 "Zu langsam. Eine private Kutsche wäre das sicherste. Reittiere wären auch nicht schlecht, aber die bekommt man schwer ersetzt, wenn wir sie nicht zu Schund reiten wollen."
 "Also eine Kutsche. Zweispännig, dann werden die Kutschenstationen eher bereit sein, die Tiere auszuwechseln."
 Pheaton nickt.
 "Würdest du das Auskundschaften übernehmen? Die Berichte besagen, ein Teilzug dieser Dämonenarmee läge zwischen uns und der Hauptstadt. Ich möchte ungern schon so bald mit ihnen zusammentreffen."
 "Kein Problem. Dann kann ich auch regelmäßig für frischen Proviant sorgen. Aber jetzt sag mir endlich, wer deine ‚Schwester' ist."
 Von unten ist plötzlich Rumoren zu hören. Zunächst Johlen und Pfeifen, dann plötzlich ein lauter Krach, worauf wieder alles still ist.
 "Ich denke das wird sie sein.", erklärt P'Ton.
 "Da bin ich aber gespannt."